Page 34 - Ausgabe 2/2023 "alt & jung"
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Zur Person:
alt & jung
Frank Stocker ist Wirtschafts- experte und Historiker. Er hat Politik und Geschichte in Frei- burg und Heidelberg studiert und arbeitet seit 20 Jahren als Wirtschafts- und Finanzredak- teur bei „WELT“ und „WELT AM SONNTAG“. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, 2012 auch mit dem Deutschen Journalisten- preis.
Welchen Anteil am Erfolg hatten Konrad Adenauer und Ludwig Erhard? Zunächst mal: Mit der Einfüh- rung der D-Mark hatten beide herzlich wenig zu tun. Die Deut- sche Mark ist ein Kind der Ame- rikaner, selbst der Name wurde von ihnen festgelegt. Sie haben die Währungsreform weitestge- hend vorbereitet und die ent- scheidenden Grundzüge festge- legt. Erhards Verdienst war je- doch, dass er als Direktor für Wirtschaft der Westzonen paral- lel zur Einführung der D-Mark die Wirtschaft befreite. Bis da- hin bestand nämlich die Kom- mandowirtschaft fort, die die Nazis eingeführt hatten: Lebens- mittel und fast alle anderen Pro- dukte wurden zentral zugeteilt, ebenso Rohstoffe sowie Vorpro- dukte für die Firmen, und die Preise waren ebenfalls staatlich fixiert. Die Besatzungsmächte hatten dieses System in den Jahren nach dem Krieg fortge-
führt, weshalb der Schwarz- markt blühte. Erhard verkündete zum 20. Juni 1948 jedoch die Aufhebung der Preiskontrollen für die meisten Produkte und entfesselte damit den Markt, was der entscheidende Auslöser des Wirtschaftswunders war. Adenauer wiederum war zu die- ser Zeit noch gar nicht Kanz- ler, die Bundesrepublik wurde ja erst ein Jahr später gegrün- det, er hatte daran also keinen Anteil. Und leider muss man sa- gen, dass Adenauer später ein vehementer Gegner des Prinzips der Unabhängigkeit der Noten- bank war und erbittert dagegen kämpfte. Er war der Ansicht, dass er als Kanzler auch das Recht haben müsse, die Leitlini- en der Geldpolitik zu bestim- men. Zum Glück konnte er sich damit nicht durchsetzen, denn die Unabhängigkeit der Bundes- bank war ein wesentlicher Grund für den Erfolg der D-Mark, wie wir heute wissen.
Gab es Überraschungen?
Jede Menge. Kurz nach ihrer Ein- führung drohte der D-Mark schon wieder das Aus. Ende 1950 stand die Bundesrepublik kurz vor der Pleite, weil wir weit mehr importierten als exportier- ten, also massiv Geld abfloss. Die westeuropäischen Nachbarn gewährten der Bundesrepublik darauf großzügig Kredit. Doch die Regierung in Bonn tat nichts, um die Währung zu stabilisieren. Ein britischer Wirtschaftsberater sagte damals, die Deutschen hätten keinerlei Bedenken, die Kredite bis zum Maximum zu verwenden, in der Hoffnung, dass sie von irgendwoher weite- re Kredite erhalten. Erst nach massivem Druck, auch der Ame- rikaner, riss die Bundesregierung endlich das Ruder herum, be- schloss unter anderem Export- förderungen und rettete schließ-
lich die Währung. Erst danach, ab Mitte 1951, begann der ei- gentliche Aufstieg der D-Mark.
Das Gespenst der Inflation – gibt es Parallelen zur aktuellen Politik? Was ist der Unterschied zu vor 100 Jahren?
Man sollte mit solchen Verglei- chen vorsichtig sein. Im Herbst 1923 verfünfzehnfachten sich die Preise innerhalb einer Wo- che. Konnte man an einem Tag für 100 Milliarden Mark noch ein Huhn kaufen, reichte das am Tag danach nicht mal mehr für ein Ei. Das Geld verlor komplett seine Funktion als Tauschmittel, nie- mand wollte mehr Mark-Scheine haben. Es kam zu Hungerrevol- ten, Plünderungen und Aufstän- den. Hitler versuchte in Mün- chen zu putschen, Kommunisten wollten in Sachsen die Macht übernehmen, und im Rheinland marschierten Separatisten auf. Deutschland stand kurz vor dem totalen Zusammenbruch.
Das ist alles nicht vergleichbar mit heute. Zudem riss die Regie- rung damals das Ruder erst her- um, als die Inflation völlig außer Kontrolle geraten war, auch, weil sie lange überhaupt nicht ver- stand, was zu tun war, um die In- flation zu stoppen. Das wissen heute dagegen alle – Politiker, Ökonomen, Notenbanker. Und die Europäische Zentralbank handelt inzwischen entspre- chend, sie hat die Zinsen deut- lich erhöht. Vorwerfen kann man ihr, dass sie damit zu lange ge- wartet hat. Aber sie hat die Wen- de geschafft, weit, weit früher als vor 100 Jahren.
Das Interview führte Gabriele Grabowski
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Mitgliedermagazin der Senioren-Union
Foto: Privat