Page 33 - Ausgabe 4/2020 "alt & jung"
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Warum ist das so? Warum ste- hen sich augenscheinlich immer mehr Menschen unversöhnlich gegenüber? Oder anders ge-
geht die Tendenz zur Viktimisie- rung einher („Wir sind Opfer, wir werden nicht gehört.“) und damit wiederum eine Radikalisierung
es in die Kassen Zuckerbergs. Obwohl der Konzern mit mehre- ren Datenschutzskandalen ringt, stieg der Umsatz von Facebook 2019 um 14,9 Milliarden US-Dol- lar auf einen Höchstwert von 70,7 Milliarden Dollar und er- zielte einen satten Gewinn von 18,49 Milliarden. Der Löwenan- teil der Umsätze wurde durch Werbung erwirtschaftet.
Wer laut ist, emotional, zornig – der hat Erfolg Das Prinzip läuft also: Soziale Me- dien sammeln möglichst viele Nut- zerdaten, um dem Nutzer das zei- gen zu können, was er sehen will, um ihn wiederum so ans Portal zu fesseln. Das Phänomen der da- durch entstehenden Filterblase trägt aber dazu bei, dass auch kru- deste Minderheits- Meinungen oder Fake-News ein Publikum, Be- stätigung und Verstärkung finden. Und da das wichtigste Gut dieses Geschäftsmodells Aufmerksam- keit ist, ist im Zweifel das laute, polemische, emotionale Posting für Facebook wertvoller als der Rest – wie Studien des Analyse- blogs Fanpagekarma belegen.
Und so kommt es, dass die Al- gorithmen, die Facebook steuern, oft genau jene Protagonisten mit Aufmerksamkeit belohnen, die herumbrüllen statt zu diskutieren.
Andreas Fettig
Der Artikel ist am 05.09.2020 in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) erschienen.
Den kompletten Artikel und eine Kolumne zum Thema Fake-News
von Wilfried Goebels finden Sie unter: www.senioren-union.de
»fragt: Ist das tatsächlich so? („Wir haben recht, wir müssen
uns wehren.“). Dieses anschwel- lende Mimimi und Wutpotential aber wirkt wie Säure am gesell- schaftlichen Konsens – der ge-
Der Erfolg sozialer Medien wirkt als ganz wesentlicher Verstärker, Resonanzkörper und Katalysator für die Fragmentierung.
Nach Ansicht von Politik- und Gesellschaftswissenschaftlern muss man für den Befund meh- rere Faktoren im Blick behalten.
Gesellschaft
 Der Erfolg der Minder- heiten – die Fragmentie- rung der Gesellschaft Paradoxerweise beginnt es mit einem echten Erfolg der pluralen Gesellschaft: Die Mehrheitsge- sellschaften der westlichen De- mokratien sind in den vergange- nen Jahrzehnten deutlich liberaler geworden. Minderheiten haben mehr Raum im öffentlichen Dis- kurs erhalten und gelernt, ihre Bedürfnisse und Forderungen selbstbewusster zu formulieren. Um wirklich gehört zu werden, wurden Forderungen laut vorge- tragen. Das ist im Prinzip legitim und brachte Erfolg (zum Beispiel im Kampf für soziale Gerechtig- keit, für Gleichberechtigung, für die Rechte von Schwulen und Lesben), bringt jedoch mittler- weile auch Probleme mit sich. Denn der gemeinsame politische Konsens schwindet.
Die plurale Gesellschaft ist in- zwischen extrem fragmentiert – weil immer mehr Menschen sich darauf berufen, einer Minderheit anzugehören. Mit diesem Status
meinsame Wertesockel schmilzt dahin, wenn immer mehr Grup- pen vornehmlich und rücksichts- lose Eigeninteressen gegen „die Anderen“ durchsetzen.
Soziale Medien: Verstär- ker, Resonanzkörper und Katalysator
Der zweite, mindestens ebenso wichtige Faktor der zunehmen- den Polarisierung ist die Digitale Revolution: Der Erfolg sozialer Medien wirkt als ganz wesentli- cher Verstärker, Resonanzkörper und Katalysator für die Frag- mentierung. „Facebook wurde ursprünglich nicht als Unter- nehmen gegründet. Es wurde ge- macht ,um eine soziale Mission zu erfüllen – die Welt offener und verbundener zu machen.
Die lyrischen Einlassungen von Firmengründer Mark Zu- ckerberg verbrämen, um was es den Betreibern sozialer Medien natürlich im Wesentlichen geht: ums Geld. Kurz gesagt: Je länger sich der Nutzer auf Facebook tummelt, umso mehr Geld spült
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