Page 31 - Ausgabe 4/2020 "alt & jung"
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  ich eine Schere im Kopf. Nach dem Motto, die Leute sagen: ‚Was will denn der Alte hier, der kriegt gleich einen Herzkasper und dann ist unsere Party vor- bei‘. Irgendwann hat mich eine junge Frau in der U-Bahn ange- sprochen und mich mitgenom- men. Von Anfang an fand ich es einfach nur schön und habe gleich neun Stunden durchge- tanzt. Tanzen ist pure Energie für mich und House-Musik ist eben mein Ding. Wenn die Musik gut ist, fühlt sich das an, als würde man in eine andere Umlaufbahn geschossen. Das fehlt mir jetzt wahnsinnig, weil die Clubs wegen Corona geschlossen sind. Nun muss ich zuhause tanzen, aber das ist natürlich nicht das- selbe. Auf den Stuhltanz im Al- tersheim habe ich jedenfalls keine Lust.
Was können junge Leute von Ihnen lernen?
Mich haben schon einige ange- sprochen und gesagt: ‚So cool wie Du möchte ich auch sein, wenn ich mal alt bin‘. Manche Ju- gendliche sind in ihrem Habitus
»ist ziemlich deprimierend. Au- ja älter als ich. Langsam und
Günther Anton Krabbenhöft, Rentner und Hipster aus Berlin. Krabbenhöft wurde zum Internet-Phänomen, nachdem ein Styleblog Fotos von ihm gepostet hatte.
sein? Wo will ich hin? Ich lebe jetzt mit meiner Wahlfamilie, also einigen Freunden, in einem Haus und genieße jeden Tag. Ich möchte mich nicht jeden Tag über Krankheiten unterhalten. Die Lust am Leben ist besser als jede Pille. Viele meinen sich an- passen zu müssen, weil sie be- fürchten, sonst nicht gemocht zu werden, aber Gleichförmigkeit
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thentisch sein macht einfach glücklicher. Darum geht es auch in meinem Buch.
träge, denen kann man im Gehen die Hose flicken. Und so ist das auch bei den Alten. Wenn sie
Intern
  Dazu gehört für Sie ja wohl auch das Tanzen. Sie sind so richtig in die Öffentlichkeit gekommen, weil Sie sich durch die Szene-Clubs wie das Berghain getanzt haben. Ich habe 20 Jahre davon ge- träumt, in diese Clubs zum Tan- zen zu gehen. Aber damals hatte
immer nur auf die Einschätzung der Gesellschaft hören, dass sie da „nicht hingehören“, dann ist das schwierig. Wir müssen auf- hören, die Grenzen zu akzeptie- ren, die uns andere setzen.
Das Gespräch führte Gabriele Grabowski
Die Lust am Leben ist besser als jede Pille.





















































































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